#Adventskalender-Minutengeschichte 22. Dezember: Geflügel-Durcheinander

Noch zwei Tage bis Weihnachten. Wie schnell die Zeit vergangen war. Gerade hatte man sein Weihnachtsessen im Supermarkt bestellt und schon stand es zur Abholung bereit.

Sieben Wochen, in denen sie ein Kochbuch nach dem anderen gewälzt hatte, um schließlich im Internet fündig zu werden. Als sie das Rezept gelesen hatte, wusste sie, dass es dieses und kein anderes werden würde. Es war raffiniert, nicht besonders zeitaufwendig und vor allem nicht sehr schwer. Genau das, was sie für ein Festessen mit Gästen brauchte.

An der Fleischtheke war nichts los. Sie holte ihren Abholschein heraus und legte ihn der Verkäuferin hin.

“Ich wollte meine Bestellung abholen.”

Die Frau verschwand durch die Hintertür und kam erst einmal nicht wieder. Was machte die dort so lange? Waren die Bestellungen nicht geliefert worden?

Nach geschlagenen fünf Minuten kam die Verkäuferin wieder und trug ein schweres Paket. Das war aber merkwürdig eingepackt und so groß.

“So, Frau Grimm, Ihre bestellte Gans”, sagte die Frau und legte den in Frischhaltefolie eingewickelten Vogel auf die Theke.

“Gans? Nein, das muss ein Irrtum sein. Ich habe Wachtel bestellt. Fünf Wachteln.”

“Das tut mir leid. Unter ihrem Namen war nur diese Gans zu finden. Sind Sie sicher, dass Sie Wachteln bestellt haben?”

Das war doch die Höhe! Unterstellte man ihr, nicht zurechnungsfähig zu sein. Aber sie konnte beweisen, dass sie Wachteln bestellt hatte. Triumphierend zückte sie ihr Portemonnaie und suchte nach dem Bestellbeleg, den sie als Erinnerung neben dem Abholschein erhalten hatte. Nur wo war er? Sie durchwühlte ihre Kassenzettel, von denen sie einige in der Geldbörse stecken hatte. Vor vier Wochen hatte sie allerdings mal wieder alles ausgeräumt, weil sie sonst das Portemonnaie nicht mehr hätte schließen können.

Verdammt! Jetzt konnte sie nicht beweisen, dass sie im Recht war. Aber so klein bei gab sie nicht. Sie wollte ihre Wachteln und keine Gans.

“Ich habe fünf Wachteln bestellt und wenn ich den Bestellbeleg finden würde, könnte ich es Ihnen zeigen.”

“Das mag so gewesen sein, aber jetzt liegt hier eine Gans für Sie.”

“Die nehm ich nicht! Entweder bekomme ich meine Wachteln oder ich verlange den Geschäftsführer.”

Auf dem Gesicht der Fleischverkäuferin huschte ein dunkler Schatten. Immer diese Kunden, die nur Ärger machten und keine Tatsachen akzeptieren wollten.

“So eine Gans lässt sich genauso zubereiten wie eine Wachtel.”

“Die Backdauer ist erheblich höher, außerdem ist das Fleisch viel fetter, dafür die Brust total vertrocknet und allein die Reste, die übrigbleiben. Wir wollen uns nicht tagelang von Gänsefleisch ernähren müssen”

“Daraus lassen sich ganz neue Gerichte zaubern. Ravioli oder Rilette.”

“Fettes Zeug vertrage ich nicht, deshalb die Wachteln. Jetzt sehen Sie noch mal nach, ob Sie nicht etwas vertauscht haben.”

“Da ist nichts”, wehrte die Fleischverkäuferin ab, was ihr merkwürdig vorkam. Wollte die ihr unbedingt diese fette Gans andrehen? Was für eine Provision bekam sie dafür?

“Ich brauche fünf Wachteln, um acht Gäste zu verköstigen.”

“Da passt die Gans perfekt”, hakte die Verkäuferin noch einmal ein. “Da werden kaum Reste übrigbleiben.”

“Dafür sind alle verärgert, weil sie nur Brust kriegen und die anderen alle Keule. Bei einer Wachtel bekommt jeder die Hälfte. So, jetzt sehen Sie noch mal wegen meiner Bestellung nach oder ich rufe beim Geschäftsführer an, damit er erfährt, wie man als Kunde an dieser Theke bedient wird.”

“Ich kann noch einmal nachsehen, vielleicht ist etwas falsch etikettiert worden.”

Die Fleischverkäuferin verschwand wieder durch die Hintertür.

Vorsorglich holte sie schon eimal ihr Handy heraus, um gleich einen Anruf tätigen zu können, wenn ihre Wachteln unauffindbar blieben. Wozu bestellte sie etwas, wenn es nicht da war, wenn sie es abholen wollte?

Die Fleischverkäuferin kam wieder. Dieses Mal hielt sie eine große Plastiktüte bei sich.

“Na, da haben Sie noch mal Glück gehabt. Da sind tatsächlich zwei Etiketten vertauscht worden.”

Sie legte den Plastikbeutel neben die Gans auf den Tresen.

“Geht doch”, meinte sie und wollte ihre Bestellung an sich nehmen, als sie zurückgehalten wurde.

“Die Gans wollen Sie nicht doch mitnehmen?”

“Bestimmt nicht! Stecken Sie sich die Gans an den Hut.”

Empört zog sie ab, aber wenigstens hatte sie bekommen, was sie bestellt hatte. Ihr einfach eine Gans andrehen zu wollen. 

“Na, bist du die Gans losgeworden?”, erkundigte sich der Fleischer aus dem Kühlraum.

“Nee, obwohl ich sämtliche Tricks versucht habe. Wenn ich der nicht ihre Wachteln gegeben hätte, wäre sonstwas los gewesen, inklusive Anraunzer vom Chef.”

“Na, ja, man kann nicht immer Glück haben. Probier’s doch einfach beim nächsten. Irgendwann wird sich jemand finden, der die Gans mitnimmt. Aber nur bei denen, die Wachteln bestellt haben.”

“Und die übrig gebliebenen Zwerge teilen wir dann untereinander auf.”

“So wie wir es abgemacht haben”, sagte der Schlachter und verschwand mit der Gans im Kühlraum.

(Helen Hoffmann)

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